Mittwoch, 18. Juli 2007
KRIEG UND FRIEDEN
Auszug einer gestern und heute auf Der dunklen Seite geführten Unterhaltung, ausgehend vom Nachteil und Nutzen des Freibades für das Leben sozusagen, und geschrieben unter dem Eindruck der Meldung, dass heute Nachmittag die Royal Air Force in Alarmbereitschaft versetzt wurde, nachdem russische Langstreckenbomber entlang der schottischen Grenze Großbritannniens patrouillierten.


the great gate, Dienstag, 17. Juli 2007, 15:09
Öffentliches Freibad
ist nie verkehrt. Und gehört als sich selbst steuernder Freizeitpark für Kinder von sechs bis – keine Ahnung – 12(?) sozusagen zum Weltkulturerbe. Das Freibad as we know it geht übrigens zurück auf die preussischen Heeresreformen nach den napoleonischen Kriegen. Lustigste Anekdote, die ich im Zusammenhang mit Freibädern kenne, steht in Kafkas Tagebüchern. Dort notiert er am 14. August 1914 in gewohnt kafkaesker Klarsicht: Deutschland erklärt Russland den Krieg, nachmittags Schwimmschule
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mark793, Dienstag, 17. Juli 2007, 22:10
Preussisch –
hätte mir denken können, dass dahinter so ein Ertüchtigungsgedanke Pate gestanden haben mag. Man wird sich gesagt haben, wenn Deutschland sich mit Hilfe der kaiserlichen Marine seinen Platz ander Sonne erkämpft, dann wird man auch Kampfschwimmer brauchen. Heidewitzka...

Tja, und wenn Kafka mehr Katzencontent in seinen Tagebüchern gehabt hätte, hätt man ihn sicher schon zum Schutzpatron der Blogger ernannt. Diese Verquickung von Welthistorischem und Persönlich-Banalem, das ist wahrhaft epochal. Wie wollte man das heute noch toppen? Die Zwillingstürme in N.Y. sind eingestürzt. Nachmittags den Katz kastrieren lassen.

Wie
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the great gate, Mittwoch, 18. Juli 2007, 00:41
Die Motivlage war ein wenig anders:
Nicht der Ausbildung mariner Elitetruppen, sondern dem
in und nach den napoleonischen Kriegen auch abseits der Grande Nation erstmals aufgekommene Konzept der Volksbewaffnung sollte die Einrichtung der Bäder dienen. Das Schwimmen wie auch das von dem einschlägig bekannten Freiherrn von (?) Jahn propagierte Turnen unter Aufsicht sollte das bekanntlich als unzuverlässig geltende und im Ernstfall eher zur Renitenz neigende Gesindel (Volk) darauf vorbereiten mit Waffen "richtig" umzugehen.
Das preussische Offizierschorps hatte damals noch Angst, dass die Herren Untertanen womöglich in die falsche Richtung zielen könnten, wenn es heißt "Helm auf zum Heldentod“.
Diese Angst war unbegründet, wie sich spätesens am 14. Juli 1914 herausstellte. Inwieweit „Turn“- und „Schwimmübungen“ der hiesigen Landsmannschaften dazu beitrugen, weiß zwar der Teufel, Kafkas Eintrag scheint mir jedoch gerade wegen der unklaren Sachlage bei näherer Betrachtung irgendwie dann doch nicht ganz banal.

Übertragen auf den Tag mit den zwei Türmen, könnte sein Blog-Eintrag lauten:
„15 Uhr GEZ. Flugzeuge krachen in New Yorker Türme. Abends dritten Fernseher angeschafft, Sondersendungen“

Militärische Elite- im Sinne von Sondereinsatz-Truppen wie z.B. Kampfschwimmer sind übrigens eine relativ junge Erfindung. Federführend bei der Konzeption und Organisation waren freilich auch sozusagen preussische Offiziere, freilich als Teile der Wehrmacht und der SS.

Erstmals öffentlich in Erscheinung getreten ist so ein "SEK" bei der sogenannten Befreiung Mussolinis 1943 oder 44 (?). Die Besonderheit dabei: Die Falschirmjägereinheit operierte ohne einzuhaltende direkte Befehlskette zur militärischen Führung, die nur eine Zielvorgabe anordnete, die Operation selbst dem taktischen Ermessen des eingesetzten Truppenteils überließ.

Der "Erfolg" (Mussolinis Raushole) machte damals insbesondere im US-amerikanischen Generalstab Furore, die den Duce damals in Gewahrsam hatten. Die der Raushole zugrunde liegende Konzeption sowie ehrenwerte Herren wie die "Techniker" um Wernher von Braun gaben der politischen Führung der US-Armee wesentliche Impulse, sich nach den Erfordernissen zeitgemäßer Kriegsführung entsprechend um- und neu zu strukturieren.

Und nur, um den Eindruck zu vermeiden, ich sei ein dumpfer Komisskopf oder Waffennarr. Die Freibad-Story inkl. Jahn, Kafka und Volksbewaffnung gehören ins Arsenal der wenigen tatsächlich interessanten Infos, die ich dem Nebenfachsstudium NDL zu verdanken habe. Thema damals in den screaming 80ies war Kleist, der sozusagen als der Poet unter den preuss. Heeresreformern wirkte und unter anderem eine Novelle schrieb, in der er den seines Erachtens optimalen Soldaten als eine gelungene Mischung aus einer Marionette und einem Tanzbären beschrieb, dessen "Menschlichkeit" darin bestehen sollte, nur die in deutscher Sprache gebrüllten Befehle des preussischen Offizierscorps ausführen zu können. "In gehorsamer Selbstständigkeit" war glaube ich das Schlüsselwort, auf das es dem Herrn von Kleist seinerzeit ankam. Aus Gram, dass ihm seine Vision einer deutschen New Model Armee keiner abnehmen wollte, ging der glühende Patriot Heinrich dann mit seiner Henriette Vogl in den Wannsee, der Rest ist Literatur-Geschichte und bekannt – – – Hieß es jedenfalls damals im Seminar vom Wolfgang Kittler, dem jüngeren Bruder des einschlägig berühmten und ungleich populäreren "Medien"-Kittler (Friedrich).

Aber das nur nebenbei. Was ich eigentlich sagen wollte: Man sollte "Schwimmschulen" nicht unterschätzen.

Oder: Vielleicht gehört auch Katzen-Content zum Krieg zur Zeit.

Bekanntlich und leider weiß man auch "da" (Ernstfall) erst nachher immer mehr. (Freilich, wenn es soweit kommt, ist man oder es ohnehin wurst)
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mark793, Mittwoch, 18. Juli 2007, 09:44
Schon klar,
dass es den alten Preussen nicht um Kampfschwimmer ging. Soviel von der militärhistorischen Materie versteht auch eine luftwaffen-gediente Landratte wie ich. Aber gleichwohl finde ich Ihre Ausführungen sehr lehrreich und überzeugend, wo es darum geht, die obrigkeitlich geförderte Leibesertüchtigung zu Wasser und zu Lande in den richtigen Kontext einzupassen. Der militärische Stallgeruch des Turnens, so wie es damals propagiert wurde, stinkt ja drei Meilen gegen den Wind. Einer steht da mit der Trillerpfeife, der Rest reagiert auf die Kommandos und bewegt sich im Gleichtakt. Ich frage mich grade, ob nicht auch dem vermeintlich harmlosen Step-Aerobic das unselige geistige Erbe von Jahn und Konsorten anhaftet.

Die Sondereinsatzkommandos sind ein interessantes Feld, von dem ich leider zu wenig Ahnung habe. Ich meine, die Aliierten hätten auch diverse Kommandos am Start gehabt, und zwar nicht nur solche, welche die zu Filmruhm gekommenen "Kanonen von Navarone" ausschalteten.

Im Übrigen erzeugt das Spannungsfeld zwischen dem militärischen Prinzip Befehl-und-Gehorsam und dem Dasein als mündiger Staatsbürger auch in den Richtlinien zur inneren Führung der Bundeswehr immer noch ganz schöne Verrenkungen...
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the great gate, Mittwoch, 18. Juli 2007, 13:34
Bundeswehr kenn ich nicht,
war ich nicht dabei, sozusagen.
Der Ausflug in die Militärhistorie erfolgte ohnehin ohne Gewähr, weil ich als Zeugen nur deutsche Professoren angeben könnte, die im Zweifel bekanntlich lügen wie die Pfarrer (außerdem wars auch noch im Fach Dichtung und Wahrheit, aka NdL).
Aber alles in allem erscheint mir der skizzierte Zusammenhang zwischen vermeintlich harmlosem Freizeitvergnügen und militärpolitischen Zweck- und Zielvorstellungen durchaus plausibel.
Zu den SEKs nur noch eins, weil mir das damals im Seminar tatsächlich neu war: Das entscheidende Novum war offenbar, Truppenteile für bestimmte Einsätze zu entwickeln und auszubilden, bei deren Steuerung ganz bewusst auf die Einhaltung der klassischen Befehlstruktur und Weisungsbefugnisse verzichtet wurde.
Soweit ich weiß, gab und gibt es diese Art von partieller Autonomie innerhalb der Armee in der Bundeswehr nicht mehr; sie wurde erst wieder in Gestalt einer Grenzschutztruppe (auf Polizei- und also Länderebene) wieder eingeführt, you name them. (Obwohl, die Burschen nennen sich seit dem Einigungsvertrag anders, ich glaube sogar, dass sie auch gar kein S mehr im Kürzel haben.)

Interessant ist der bewusste Verzicht auf das unter Militärs bis dahin (1943) ja sakrosankte Prinzip des Befehlens und Gehorchens, weil paar Monate vorher ein Herr Paulus sozusagen dagegen verstoßen hatte, und den im Generalstab am grünen Tisch ausgeknobelten Befehl zum Ausbruch der ihm unterstellten so genannten 6. Armee aus ihrem gerade zurückeroberten, freilich unter schwerem Beschuss stehenden Winterquartier mit dem Hinweis verweigerte, dass es keinen Sinn habe, ein paar Hundertausend (?) Leute ohne Rückendeckung durch gepanzerte Verbände und Luftwaffe in offenes Geschützfeuer und Bombenhagel laufen zu lassen, die Führung sollte lieber sehen, dass sie bis ins kommende Frühjahr genug frische Verbände (vor allem neue Panzerwaffen, schnellere Bomber und Jagdflieger sowie Sprit) an die Frontlinie brächten, er würde seine Stellung bis dahin schon halten, dann erst wollte der Herr Paulus wie befohlen ausbrechen.

Bekanntlich kam es anders. Der Herr General hielt seine Stellung nicht, er kapitulierte, aber erst als die Rote Armee sich im Häuserkampf zuletzt bis zu 50 Meter an seinen Befehlsstand durchgekämpft hatte – und in Berlin hieß es tags darauf im Radio, eine deutsche Armee hätte sich im heldenhaften Widerstand gegen bolschewistische Horden für Führer, Volk und Vaterland geopfert. Paar Tage vorher hatte Paulus auch den so genannten Führerbefehl verweigert, sich demonstrativ die Kugel zu geben, um so der peinlichen Unterschrift mit einem wahrscheinlichen russischen Füllfederhalter zu entgehen, und wurde deshalb postwendend wegen Befehlsverweigerung unehrenhaft aus seinem Dienstverhältnis entlassen und dazu wegen Hochverrats angeklagt (und ich glaube auch im darauf folgenden Telegramm zum Tode verurteilt, damit die Historiker des Herrn Goebbels nachträglich was zu erforschen haben...) – aber kurzum: Nur Monate nach „Stalingrad“ scheint es, als sei die von Herrn Paulus an den Tag gelegte "Eigenwilligkeit" wie der Präzedenzfall eines neuen taktischen Truppenteils. Es ist zwar keine Armee gewesen, sondern nur eine Abteilung (Bataillon?) Fallschirmjäger, die mit der Anweisung befehlsunabhängig, das heißt nach eigener Einschätzung der Lage und ohne verbindliche Rücksprache (und Rückendeckung) zu operieren, an den Start gingen – aber immerhin. In Militärkreisen galt so ein Manöver als Novum, mithin against all odds, denn wo käme man denn hin als General, wenn sich rumspricht, dass nicht auf dem Kartentisch, sondern vor Ort entschieden wird, wann wer warum wohin marschieren bzw. abgeknallt werden soll/darf.

Die SEK-Burschen zur Befreiung Mussolinis hatten übrigens alle ihre Blausäure-Kapseln dabei, für den Fall, dass was schief gehen sollte, auch waren sie keinem offiziellen Verband der Wehrmacht, sondern einem inoffiziellen der Waffen-SS zugeordnet, wahrscheinlich hatten sie sogar falsche Ausweise dabei, für den Fall, dass sich die zuständigen italienischen Befehlshaber wundern sollten, warum ihre deutschen Waffenbrüder ohne vorherige Absprache in ihrem Frontabschnitt diesen Überraschungscoup starteten, was natürlich nur dann ein Problem geworden wäre, wenn die Operation nicht geklappt hätte.
Aber ich komme ins Plaudern, und wahrscheinlich haben Sie sogar recht mit Ihrem Hinweis auf die Kanonen von Navarone. Gerade fällt mir nämlich Das Dreckige Dutzend ein, wahrscheinlich gehts da genau auch darum.

Und wie gesagt, bin ja kein Kommisskopf, aber erhellend sind so kleine Ausflüge in die Vorgeschichte unserer so genannten neuen deutschen Zivilgesellschaft schon.

Denn ohne Zivilisten keine Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch – und sei es nur, dass sie am richtigen Platz stehen, wenn hinter den eigenen Linien die Rohr-Bombe hochgeht, um das alte Thema jetzt mal mit einem dumpfen Witz ausklingen zu lassen.


Credits: mark793 / Blog: http://www.mark793.blogger.de .

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