Donnerstag, 22. Mai 2008
Empathie
Frühauf erzählte folgenden Traum: Er, Frühauf, habe neulich geträumt, er sei mit einem Freund durch eine Wüste gelaufen. Er habe eine Axt bei sich geführt. Es sei entsetzlich heiß gewesen, die Wüste endlos und der Durst, den er gehabt habe, unerträglich. Stundenlang seien er, Frühauf, und sein Freund durch diese Wüste marschiert, ohne Orientierung, ohne Ziel. Und nachdem sie so schweigend stundenlang unter einer natürlich sengenden Sonne durch diese Wüste nebeneinander her getrottet wären, habe der Freund den Frühauf plötzlich von der Seite schief angeschaut und ihn gefragt, warum er denn eigentlich diese Axt mitgenommen habe?
Wozu eine Axt in der Wüste, Frühauf, das sei doch wieder typisch! So eine Idiotie! Weit und breit kein Wald, kein Baum, kein Strauch, nichts – aber eine Axt! Wofür? Wozu, Frühauf, brauchst du eine Axt in der Wüste? Wie dumm muss man sein, mit einer Axt durch eine Wüste zu laufen, Frühauf, sag, wie dumm muss man sein?
Minutenlang habe der Freund so auf den Frühauf eingeredet, wie dumm man eigentlich sein müsse, was er mit einer Axt wolle, in der Wüste, ausgerechnet er, der Frühauf, mit einer Axt, was für ein Unsinn das sei und so fort. Und da habe der Frühauf diese Axt mit beiden Händen gepackt und den Freund mit einem einzigen, fürchterlichen Hieb erschlagen. So sei endlich Ruhe gewesen.
Im nächsten Moment sei jedoch die Freundin des Freundes am Horizont aufgetaucht, und er, Frühauf, habe die Leiche gerade noch an den blutbesudelten Hosenbeinen hinter einen Haufen Geröll schleifen und dort verstecken können, schon sei die Freundin des Freundes direkt neben ihm in der Wüste gestanden, und die Freundin des Freundes habe ihn gefragt, ja Frühauf, wo kommst du denn her, und wo ist denn der Mirko? Und was soll die Axt? Wofür brauchst du denn eine Axt in der Wüste, Frühauf? Das ist ja wieder typisch! Der Frühauf, in der Wüste, mit einer Axt! Ausgerechnet mit einer Axt rennt der Frühauf durch die Wüste. Mit einer Axt! Einer Axt! Wie blöd ist das denn?
Und da habe er die Axt wieder in beide Hände genommen, habe der Freundin seines Freundes in ihr fragendes Gesicht geschaut und sei jedoch im selben Augenblick aus diesem Traum erwacht, so Frühauf, erfüllt, so Frühauf weiter, von einer ihm bis dahin völlig fernen, ganz sonderbaren, unbekannten Empathie.

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