Mittwoch, 11. November 2009
Verteidigung eines Pudels
Vorgestern, nach ein paar niederschmetternden Seitenblicken auf diesen bleiernen Sumpf einer gesamtdeutsch blühenden TV totalitär Landschaft – Momente, in denen ich nach 20 Jahren das Fehlen der Deutschen Demokratische Republik zum ersten mal als sozusagen wirklichen Verlust mitkriegte, weil diese MTV meets FDJ Inszenierung der verlogensten Phrasen seit Erfindung von Sportpalast-Reden, insbesonders diese gähnende, unerhört gedankenferne Leere, dazu auch noch ausgerechnet ein Wrack wie Gottschalk, das einem das hohle Pathos neuen deutschen National-Kretinismus praktisch als 3-D-Animation des Grundrauschens der zeitgenössischen Klingelton-Propaganda ins Gesicht gekotzt – und danach dann, etwa drei Stunden lang: ZDF meets HME, also Mindbashing reloaded, jetzt aber im postmodernen Pferdestall als elegantes Kammerspiel: Chefkoch will wissen, wie´s wirklich war und Enzi windet sich im Drehstuhl, witzelt: lustig, ist doch lustig, nicht; und das ist doch kein Problem, nicht, auch als ausgedienter Hampelmann der Nation zu beweisen, dass dieses deutsche Land auf die Dauer noch jeden, der mit 20 noch alle Latten am Zaun hatte und schreiben konnte, entsorgt. Das ist doch toll –

Und als dann nach zweieinhalb Stunden Gewäsch klar war, wer da wem erklärt, wie´s wirklich war, ist mir endlich aufgegangen, was denn an diesem Hans Magnus Enzensberger eigentlich so besonders und beeindruckend gewesen ist, dass nahezu jeder heute über 40 jährige Schreiber- und Dichterling ab und x Jahre nach Abflauen seiner Pubertät wenigstens 20 Seiten Text lang unbedingt enzensbergern musste, weil auch er so ein neuer solitärer Hans Magnus sein (nicht werden) wollte und wie es dieser echte super professionelle Hans Magnus Enzensberger geschafft hat, diese tatsächlich sagenhaften 50 Jahre lang mit nichts anderem als saisonal optimal angepassten politischen Plattitüden zu glänzen und sowohl trotzdem als auch gerade deshalb als der solitäre Marken Intellektuelle durchzukommen, und das bis zum heutigen Tag, und das, obwohl ihn die Konkurrenz spätestens seit 77 in den Paradedisziplinen Opportunismus, Ignoranz und Regredieren für Cash doch eigentlich längst in den Schatten gestellt hat und dieses kritische bisschen real existierender Antifaschismus, mit dem er von 57 bis 68 gepunktet, aber eben doch auch nicht nur die Falschen richtig getroffen hatte, schon wieder als verdächtig ausländische Idee gehandelt wurde.
Was allen Autoren in spe an ihrem Hans Magnus so gut gefällt und auch mir seinerzeit als die Königsdisziplin des Publizistenberufes schlechthin erschien, die es mit 13 zu erlernen galt, wofür ihn sogar die Augsteins und Strauß bewunderten und von den Kultur-Gulaschkanonieren der Öffentlich-Rechtlichen bis Suhrkamp ohne zu Murren durchfüttern ließen, ist seine zugegeben schon bemerkenswerte Leistung, ein ganzes Publizisten-Leben lang sozusagen als Kanarienvogel zu verbringen, der nicht nur das seltene Kunststück gelernt hat und beherrscht, auf Zuruf aus dem aufgesperrten Vogelbauer zu fliegen und ein paar Runden zu drehen, ohne die Küche vollzuscheißen, sondern – und dieses Kunststück hat er sozusagen tatsächlich neu erfunden – sondern auch noch selbst zu merken, wann es Zeit ist, wieder in seinen Käfig zurückzufliegen, wenn sich die tier- und kinderlieben Freunde der Marschmusik am gelehrigen Geflatter ihrer possierlichen Hausgenossen und kleinen Sänger satt gesehen haben. Weniger gelehrige als er, die freilich wirklich lustig waren, anstatt immer nur noch alberner als der deutsche Dr. Dr. Normaldepp – wie der Wolfgang Neuss, sechs Jahre älter, wussten nie, wann sie den Schnabel halten sollten und kehrten auch nie zurück in den Käfig, sondern gingen einfach kaputt.

Natürlich hat das gedauert, bis aus Hans Magnus Enzensberger dieser komische Vogel wurde, und den job als Der immer lustige Kanari, als den ihn den ihn heute jeder Depp, allen voran Cretins wie Mattusek abfeiern, beherrscht er so richtig aus dem FF und ohne aich nur eine Sekunde auch nur kritikresistent nachdenken zu müssen, seit – sagen wir – 1984. Aber, mon dieu! Es ist bekanntlich noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und schon gar kein Schulmeister der Nation.

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