Sonntag, 4. März 2007
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HINWEIS

AUS DEM ARCHIV werden künftig in unregelmäßiger Folge weitere Passagen des Interviews mit Diedrich Diederichsen (siehe nachstehenden Beitrag) vorgestellt. Darüber hinaus werden in dieser Rubrik auch Auszüge bislang ebenfalls unveröffentlichter Unterhaltungen mit Jörg Schröder, Niklas Luhmann, Karl Held, Wolfgang Pohrt und weiteren Personen der guten alten Zeitgeschichte präsentiert sowie verwandte Dokumente als Text-, Bild und Audiodateien zu finden sein.

Und damit die dummen Gedanken erst gar nicht aufkommen: Jede nicht explizit autorisierte kommerzielle Nutzung oder Verwendung des Textmaterials verletzt das Urheberrecht und wird dem entsprechend geahndet.
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AUS DEM ARCHIV – DIEDRICH DIEDERICHSEN, HERBST 1991
INTERVIEW-PASSAGE

Über Foucault Baudrillard Virilio Theweleit

FRAGE (I): Täuscht der Eindruck, daß Foucault einen größeren Stellenwert als früher hat? (Das Gespräch fand am 12. Oktober 1991 statt, Anm. d. V.) Zumindest taucht der Name in den neueren Texten relativ häufig auf.

DIEDERICHSEN: Texten von wem?

FRAGE (I): Von dir.

DIEDERICHSEN: Von mir? Wirklich?

FRAGE (I): Ich hatte jedenfalls den Eindruck. Die Frage war ja, ob dieser Eindruck täuscht?

DIEDERICHSEN: Kann ich weder ja noch nein sagen. Foucault ist immer schon klasse gewesen. Nur ich habe den nie so wahnsinnig viel gelesen, und es war auch nie so etwas – und das ist auch mit das Gute an Foucault – das man direkt verwenden konnte.
Also ich konnte Foucault noch nie verwenden. Ich konnte noch nie einen Gedanken von Foucault übernehmen, weil er dafür doch zu erratisch war. Deswegen aber immer wieder reinkucken. Während Sachen, die man direkt verwenden kann, irgendwann auch erledigt sind. Das ist vielleicht ein Grund.
Aber meinst du jetzt Foucault im Gegensatz zu einem anderen Namen, der verworfen wurde, oder was?

FRAGE (I): Was heißt verworfen? Ich weiß nicht, was alles in deinem Kopf vorgegangen ist in den letzten 10 Jahren. Aber gut, sagen wir "Foucault" im Gegensatz zu beispielsweise – „Baudrillard“.

DIEDERICHSEN: Ja, das ist in der Tat erledigt. Genau. Das ist so. Die Schriften, die irgendwie wichtig waren, mit denen man gearbeitet hat, waren ja die Spätsiebziger-Jahre-Sachen, Kool Killer und so was. Und was heute so kommt, da kann ich nichts mit anfangen. Erscheint mir auch wahnsinnig beliebig, eine wahnsinnige Spinnerei eben. Gelegentlich natürlich irgendwas schön gesagtes, das man auch wiedererkennen kann. Aber in der Regel doch Scheinprobleme, Raserei, irgendwo hingeführt werden, erfundene Begriffe.

FRAGE (I): Die du auch in deinen Sachen, deiner Arbeit wieder findest, wenn du dir heute deine alten Texte anschaust?

DIEDERICHSEN: Klar, klar. Bloß, der Unterschied ist ja wirklich der, daß der doch immer in irgendwelchen Zusammenhängen eingebunden war, was Baudrillard offensichtlich nicht ist. Und das Buch, bei dem ich dann wirklich gedacht habe, jetzt reichts, war dieses Tagebuch cool memories. Das ist nun wirklich die Härte. Da kommt dann eben: "Der Professor und die Frauen". Und das ist irgendwann nicht mehr zu ertragen.

FRAGE (K): Virilio schreibt ja, glaube ich, gerade für die Vogue einen Artikel über "Warum nicht mehr gereist wird in 20 Jahren."

DIEDERICHSEN: Weil er nämlich nicht mehr reist. Er reist ja nicht mehr.

FRAGE (I): Haha. Und dann schreibt er deswegen die Vogue voll.

DIEDERICHSEN: Er hat ja das Experiment, daß er bis zum Jahre 2000 seine Wohnung nicht mehr verlassen will.

FRAGE (P): Ach ja.

DIEDERICHSEN: Der ist dafür perfekt ausgerüstet mit allem was es gibt und will sozusagen vorführen, daß das geht.

FRAGE (I,K,P, D): Hahaha

DIEDERICHSEN: Nimmt dann auch an Symposien und so weiter Teil via Fernsehschaltung und ist also präsent, macht alles mögliche, aber verläßt seine Wohnung nicht mehr bis zum Jahr 2000, um das eben irgendwie...

(Allgemeines Gelächter)

FRAGE (K): Okay, das ist jetzt ein bißchen namedropping, aber mich würde interessieren, was du von dem letzten Buch von Theweleit, diesem Paare-Buch hältst.

DIEDERICHSEN: Meinst du das Buch der Könige oder Objektwahl?

FRAGE (K): Objektwahl. Als Theweleit in München daraus gelesen hat wurde er von den Leuten dauernd gefragt, ob denn die Liebe noch geht. Der mußte da den Lebensratgeber machen.

FRAGE (I): Nein, hör auf. Das war eine zu traurige Geschichte. Das war ja fürchterlich.

DIEDERICHSEN: Außerdem ist natürlich genau das der Grund, warum die Sachen von dem so erfolgreich sind. Weil man sie eben so auch lesen kann.
Aber wie gesagt, von dem Buch der Könige habe ich eine Menge gehalten, weil es versucht Ausbeutung auf Bereichen festlegbar zu machen, wo bis jetzt kein Mensch von Ausbeutung gesprochen hat, sondern immer nur von persönlichen Beziehungen. Und das ist im Prinzip eine richtige Frage. Wiederum auch, wenn man sich dafür interessiert: Wo kommen politische Subjekte her? Wo kommt vielleicht eine Kulturarbeiterklasse her, oder so was, was natürlich nicht mehr so eine monolithische Arbeiterklasse sein kann? Insofern denke ich mal, der ganze Forschungsansatz ist sehr gut.
Nur, daß das auch immer sehr persönliche, direkte Beschreiben von seinem Privatleben und Privatleben die er kennt und das Wiedererkennen darin – was seine Generationsgenossen dann damit verbinden, also was die darin wieder erkennen – natürlich zu den ganzen Erfolgen führt, die er bei Leuten wie Antje Vollmer und Rudolf Augstein oder so hat, ist klar. Das ist natürlich eine Richtung, seine Sachen zu lesen, die ich nicht so interessant finde.

* * *

Das insgesamt etwa dreieinhalb Stunden dauernde Gespräch fand im Oktober 1991 im Redaktionsbüro der Zeitschrift SPEX in der Kölner Aachener Straße statt, wurde auf Band mitgeschnitten und im September 1992 transkribiert.

Der hier vorgestellte Auszug des bislang unveröffentlichten Interview-Textes ist das geistige Eigentum von

Diedrich Diederichsen,
Andreas Otteneder (I)
Martin Posset (P)
Peter Kessen (K)

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