Donnerstag, 26. April 2007
SECOND LIFE
Super Sache!
Seit den 61 Tagen, die ich hier en blog verbringe, zwinge ich meinen 11-Jährigen Neffen, jeden Montag, Mittwoch und Freitag per Telefonanruf, sich als mein Doppelgänger in diesem virtuellen Kommunismus called SL zu bewähren.

Der Neffe darf immer nur eine halbe Stunde Second Life spielen, dann hol ich ihn per Telefon wieder raus, oder die Mutter ruft ihn zum Abendessen, wenn ich gerade keine Zeit zum Telefonieren habe oder sonst wie verhindert bin, meine Pflichten als Second Live Supervisor meines Neffen wahrzunehmen.
Und bevor jetzt wieder gleich gemault wird von wegen Medienverwahrlosung des Neffen und scheiße schlechte Erziehung und so.
Natürlich gibt es schon ganz klare Regeln für den Neffen. Schließlich ist er erst 11 und Second Life tatsächlich nichts für kleine Kinder, sondern der virtuelle Kommunismus und der Wilde Westen, bekanntlich. (Figuren laufen da rum, du glaubst es nicht.) Also es gibt schon Regeln, für alle die gesagt, die sich immer Sorgen machen, dass die Kinder missraten und aus dem Nachwuchs nichts wird, weil er nur dauernd sinnlos am Computer herumspielt. Also so ist das nicht im Fall des Neffen. Nur so am Compter herumspielen darf der Neffe natürlich nicht. Habe ich ihm auch von vorn herein gesagt, als ich ihm vor 61 Tagen den Auftrag erteilte, er müsse jetzt unbedingt als mein Doppelgänger bei Second Life mitmachen, weil ich nicht zugleich en blog sein und bei Second Life mitmachen kann, weil das schon zeitlich gar nicht zu schaffen ist.

Regel Nummer eins war, dass sich der Neffe so schnell wie möglich ein paar Grundstücke schießen musste. Und zwar an Stellen, wo sich das lohnt.
Denn natürlich bekam der Neffe von mir auch den ganz klaren Befehl, sein Spielgeld sinnvoll zu verbraten. Denn das bekam er ja von mir vorgeschossen sozusagen. Und wer zahlt, schafft an, bekanntlich.
Und vermittels meiner Telefonüberwachung habe ich auch ständig aufgepasst, dass der Neffe keinen Unfug treibt in Second Life, denn Unfug und Unsinn gibt’s da ja auch jede Menge. Soll sich ja sogar die Christiansen rumtreiben zum Beispiel. Aber zurück zu meinem Neffen. Wie gesagt: Es gibt da schon auch verbindliche Verhaltens-Regeln. Also auch die wurden mit dem Neffen im Vorfeld ganz genau abgeklärt.

Wenn mir der Neffe nach seinen Trips im virtuellen Kommunismus nicht mindestens eine neue Freundin oder halt 20% mehr Spielgeld durchs Telefon melden kann, wird er von mir ausgelacht und als "Dr. von Pierer" oder als „Du Kleinfeld" verhöhnt. Das ärgert den Neffen dann immer maßlos, kommt aber kaum noch vor, denn der Neffe macht sich ganz gut in Second Life.
Eigentlich kams nur einmal vor, als der Neffe nämlich das Sky Diving für sich entdeckte. Da hat er seine ganze halbe Stunde Second Life praktisch damit verplempert, ständig von irgendwo oben nach irgendwo unten durch die Second Life Welt zu fliegen. (So klassisch Oben und Unten wie im richtigen Leben gibts ja in Second Life gar nicht, ist ja alles total digital).
Angeblich dauert es, bis man die richtigen Einstellungen für die auf der Erde geltenden Fallgesetze in den Datenkoffern findet. Hat der Neffe an dem Tag mir gegenüber jedenfalls am Telefon behauptet. Und dass man sich eben auch die Ausrüstung fürs Sky Diving erst zusammenkaufen müsse. So hat er mir das dann erklärt mit den fehlenden 20%. Aber ich habe ihn natürlich trotzdem weiter verhöhnt und zu ihm „Kleinfeld“ gesagt und „Ach so ist das, Kleinfeld, Herr Dr. Pierer hat das ganze Geld für Sky Diving rausgeschmissen und keine müde Mark, nicht einmal eine neue Freundin mit heimgebracht. So so.“ Also da wurde der Neffe dann echt sauer.

Denn eigentlich hat er sich ja gar nicht dumm angestellt, der Neffe, und schnell begriffen was los ist in Second Life.

Nachdem sich der Neffe in den ersten zwei Wochen einen ganzen Fuhrpark komischer Kinder-Last-Wagen und Kinder-Bagger gebastelt hatte, fing er nämlich an, sie an komische Atavaris zu vermieten, denn die fanden seinen Superschaufelbagger Bullydigger 4000 der natürlich auch fliegen kann, toll. Damit gings sozusagen los.

Während er offline ist, bauen ihm seine Kunden, für die er natürlich auch besondere Superschaufelbaggerfahrer-Helme und Jacken mit der script-Inschrift Bullydigger 4000 Spezialteam erfunden hat, original Straßentrassen und Brücken nach den Plänen des römischen Kaisers Hadrian, was zwar im Grunde meine Idee war, denn ein wenig sollte man die Jungen natürlich auch im virtuellen Kommunismus unterstützen, letztlich aber doch seine, denn es war ja seine Idee, seinen komischen Lastwagen- und Baggerfahrer-Kunden auch noch zu sagen, was sie mit seinem Fuhrpark für ihn bauen könnten. Von mir kam nur der Tipp lieber erst mal mit so ganz alten Straßen anzufangen anstatt einer achtspurigen Lastwagenautobahn, die der Neffe ursprünglich von seinem Grundstück aus ins angrenzende Neuland hineinbrettern wollte.

Denn ehrlich gesagt wusste ich ja nicht, was seine Schaufelbagger alles konnten, von denen er mir telefonisch Bericht erstattet hat. Ich wusste aber natürlich, dass hinter seinen Atavaris hauptsächlich Japaner, zwei leitende Tiefbauingenieure aus Ludwigshafen und eine Frauengruppe aus Boston steckten, denn das hat mir mein Bruder erzählt, mit dem ich bei der Gelegenheit der Neffenkontrolle auch immer noch kurz ein paar Takte telefoniere, und an den sich mein Neffe selbstverständlich wenden kann, wenn er mal Fragen hat oder ein englisches Wort auch nicht im Dictionary findet. Und abgesehen davon wird das Straßennetz von der Second Life Programmplattform geliefert. Insofern war mein Tipp mit „lieber mal so ganz einfache alte Straßen“ und „die Geschichte mit den Plänen Hadrians“ irgendwie auch nur die halt einzig mögliche Umsetzung seiner komischen Autobahnbau-Idee.
But to make a long story short. Inzwischen führt der Neffe ein erfolgreiches Fuhrunternehmen, weil er sich statt komische Bagger jetzt auch noch komische Häuser in komischen Siedlungen in seinem Neubaugebiet Wasserland ausdenkt.
Dass er nur jeden Montag, Mittwoch und Freitag für eine halbe Stunde im Bagger-Büro auftaucht, dort auch nur seine aktuellen Pläne an seine Kundschaft verteilt oder Helme und Anzüge verkauft und sich die übrigen zehn Minuten die Second Life Welt als Sky Diver von oben nach unten fliegend anschaut, schadet seiner Stellung als Second Life Premium Member nicht im geringsten, sondern verleiht dem Neffen vielmehr den Nimbus des Besonderen.
Vor seinem Büro hat ihn zuletzt sogar ein Straßenmusiker gefragt, ob er was gegen eine musikalische Begleitung hätte, wenn der Neffe so Montags, Mittwochs und Freitags immer um halb sechs ins Büro gewackelt kommt. Das Lied, das der dann singt heißt „Mr Half oder Have an Hour oder so, ich habs bislang nur durchs Telefon gehört und deshalb den Text auch nicht ganz genau verstanden, klingt aber schon soundtechnisch absolut okay.

Übrigens. Die Gewinne, die der Neffe macht, liegen längst über den ursprünglich avisierten 20% und bewegen sich pro Session im fünfstelligen Bereich, denn der Neffe ist wie gesagt 11 und verlangt horrende Phantasiepreise, wenn ein bei ihm anklopfender Atavari womöglich auch noch mit dem Lieblings-Schaufel-Bagger-Typ des Neffen auf seiner Wasser-Straßen-Baustelle zum Beispiel Marmorplattentrümmer genau nach Bauplan zu Mosaiken ordnen will. Wirklich horrende Phantasiepreise verlangt der Neffe in so einem Fall. Aber es funktioniert. Und mit seinen komischen Helmen laufen inzwischen auch schon Leute rum, die gar nicht Schaufel-Bagger fahren!

Seine Mutter meinte gestern zu mir, ich könne den Neffen in Zukunft ruhig mal ne Viertelstunde länger Second Life spielen lassen. Anfangs war sie natürlich total dagegen, dass sich der Neffe als mein Doppelgänger in Second Life bewähren sollte, eh klar. Aber dass der Neffe jetzt auch schon Glückwunsch-Postings von der Bank bekommt, scheint sie irgendwie schwer zu beeindrucken. Außerdem hat er neulich auch jemanden kennen gelernt, der ihm umsonst Japanisch beibringt. Mit Englisch hat er inzwischen sowieso Null problemo mehr. Keine Ahnung, ob der Neffe diese Viertelstunde dranhängen will. Aber morgen ruf ich ihn eh wieder an, muss ich ihn mal fragen, weil – so einfach zwingen, lässt sich mein Neffe natürlich jetzt – nach seinen 61 Tagen Second Life Experience – zu gar nichts mehr.

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