Sonntag, 2. September 2007
RISSE


Am folgenden Morgen kam L. lange nicht. Endlich ging Oberlin hinauf in sein Zimmer; er lag im Bett, ruhig und unbeweglich. Oberlin mußte lange fragen, ehe er Antwort bekam; endlich sagte er: "Ja, Herr Pfarrer, sehen Sie, die Langeweile, die Langeweile! Oh, so langweilig! Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll; ich habe schon allerlei Figuren an die Wand gezeichnet." Oberlin sagte ihm, er möge sich zu Gott wenden; da lachte er und sagte: "Ja, wenn ich so glücklich wäre wie Sie, einen so behaglichen Zeitvertreib aufzufinden, ja, man könnte sich die Zeit schon so ausfüllen. Alles aus Müßiggang. Denn die meisten beten aus Langeweile, die andern verlieben sich aus Langeweile, die dritten sind tugendhaft, die vierten lasterhaft, und ich gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen - es ist zu langweilig!
O Gott! in deines Lichtes Welle,
In deines glühnden Mittags Helle,
Sind meine Augen wund gewacht.
Wird es denn niemals wieder Nacht?"
Oberlin blickte ihn unwillig an und wollte gehen. L. huschte ihm nach, und indem er ihn mit unheimlichen Augen ansah: "Sehn Sie, jetzt kommt mir doch was ein, wenn ich nur unterscheiden könnte, ob ich träume oder wache; sehn Sie, das ist sehr wichtig, wir wollen es untersuchen" - er huschte dann wieder ins Bett.




Bilder: stephanel
Text: Büchner

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