Montag, 11. Januar 2010
„KOMM ZUR RUHR“ – Kulturhauptstadt Europas 2010
ANWALT
(...) Das verstehe ich sehr gut. Und Sie waren mit Kippenberger befreundet? Persönlich?

MALER
Kippenberger? Ewig! Als ich ihn kennen lernte fing das mit meinen Augen an. Aber das machte damals nichts. Damals mussten wir Künstler ja schon nicht mehr so genau hinsehen. Da kannte ja jeder jeden. Ach der Kippi. Wer klein ist, muss sterben. Jaja. Tagsüber habe ich mit ihm getrunken. Nach Sonnenuntergang gemalt. In Düsseldorf damals.

ANWALT
Düsseldorf. War ich auch noch nie

MALER
Eine Katastrophe. Sehen Sie zu, dass Sie Düsseldorf meiden. Düsseldorf ist eine sich als Stadt tarnende Entzündung. (lacht) Das ganze Rheinland ist im Grunde ein zivilisatorischer Fehlschlag. Merken Sie sich das, Max! Meiden Sie das Rheinland! Wie die Ruhr! Dieser monströse Fluss bringt einem nur Unglück.

ANWALT
Warum waren Sie dann in Düsseldorf, wenn Sie Düsseldorf nicht ausstehen können? Sind Sie etwa in Düsseldorf geboren? (lacht, hört nicht auf zu lachen)

MALER
Wissen Sie Max, es war eine Dummheit, ehrlich gesagt. Ich war jung. Ich kannte die Welt nicht. Dann war da dieser Beuys. Es gab keine Auflagen. Das war mir wichtig. Ich hatte gehofft, ich hatte gespielt, ich hatte irgendwann dann auch noch nicht einmal mehr – Geld. Die Experimente waren ein Ausweg, dachte ich damals, den ich so aber gar nicht gehen wollte. Ich war, wie soll ich sagen – Revolutionär, irre revolutionär.

ANWALT
Sie haben mit Beuys studiert?

MALER
In Düsseldorf. An der Akademie. Und dort meine Sehkraft eingebüßt. Das klingt verrückt, nicht wahr?

ANWALT
Klingt verrückt. Absolut. Aber, Sie haben, ich meine, Sie malen? Sie malen weiter? Obwohl Sie praktisch überhaupt nichts sehen? Seit über zwanzig Jahren praktisch sozusagen überhaupt nichts mehr sehen können! Das finde ich – Das habe ich noch nie gehört.

MALER
Man muss damit leben, was einem das Leben bietet. Und glauben Sie mir, Max. Blindheit ist für einen Künstler nicht die schlechteste Voraussetzung. Besser jedenfalls, als Zeit seines Lebens in Düsseldorf permanent diesen zivilisatorischen Fehlschlag vor Augen zu haben.

ANWALT
Und Sie haben damals also wirklich so lange in die Sonne gestarrt, bis Ihnen schwarz vor Augen wurde?

MALER
Täglich zweimal. Oh ja. Morgens in die aufgehende Sonne. Abends in die untergehende Sonne. Ich wollte die wechselnden Stärken des Lichts studieren. Das war irre. Heute glaubt einem das ja keiner mehr, dass einer als Künstler seine Arbeit so ernst nehmen kann.

ANWALT
Da haben Sie vollkommen recht, mein Lieber. Wenn Sie mit so einer Geschichte heute bei der Künstlersozialkasse ankommen, dann lachen die Sie aus, sogar mit dem fähigsten Anwalt. (...)

(aus SEYCHELLEN, Geschichten vom Weltzonenrand, Komödie, copyright A. Otteneder)

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