Montag, 30. Juli 2007
ALTER BRIEF
the great gate, 19:02h
Samstag, 5. August 2000
16:44
an M. F. / Frankfurt
Memphis
Lieber M.,
schöne Grüße aus einem trüben, verregneten Nachmittagsloch.
Das mit dem Sommer wird wohl heuer nichts mehr. Heute vormittag hing über dem Viktualienmarkt schon ein erster Hauch Herbst, und wenn ich jetzt aus dem Fenster schau fällt es schon schwer den Anblick dieser tristen grauen Wolkendecke mit dem Hochsommermonat August in Verbindung zu bringen.
Na ja. Man soll ja ... aber irgendwie kann ich mich eh nicht mehr daran erinnern wie ein blauer Himmel aussieht – das letzte mal ... vergangenen Montag in Lindau, aber der erschien mir eher als Kulisse einer fünfziger Jahre Ansichtskarte wie überhaupt diese ganze Gegend am Bodensee. Fachwerkungetüme, pittoreske Hafenanlagen, Städtchen die Friedrichsruh heißen, ganze Legionen alter Menschen, die sich durch Gassen und über Promenaden schieben, und hebt man den Blick, erheben sich ringsum auch sofort diese Ansätze der Alpen, und alles ist einem sofort der reinste Kitsch, weil irgendwie fotografisch eingefrorene original Nachkriegszeit, so grell bunt und nachkoloriert, wie einem diese schönen Schweizer Aussichten da entgegen knallen.
Ich finde ja Gebirgspanoramen eher bedrückend und schau lieber aufs offene Meer hinaus, in Straßenschluchten oder durch endlose Betonwüsten als gern von so massiven Naturmonumenten umstellt zu sein, egal ob bewaldet, oder nicht – und wenn schon Anhöhe und Feldherrnblick, dann richtig, also aus paar Tausend Metern durchs Flugzeugfenster oder eben gleich MIR, die schöne klassische Totale auf die Kugel, meinetwegen auch sehr gern vom Bett aus, denn so ein MIR-Bullauge ist ja auch nicht recht viel größer als mein alter Grundigbildschirm.
Jedenfalls. Diese Gegend am Bodensee, wirklich nicht mein Ding.
Außerdem sind ihre Bewohner, insbesondere auf österreichischer Seite, diese sogenannten Vorarlberger soho wahas vohon lahangsahm, dass man wirklich auf die Idee kommen kann, dass in dieser Region die Zeit einfach langsamer vergeht oder gar nicht geht, sondern kriecht, oder gar 1945 einfach ganz stehen geblieben ist, was dann auch so Leutchen wie diesen Walser und seine hanebüchenen Nationaldummheiten erklären könnte, die ich bislang eher für einen Ausdruck der herrschenden Gerontokratie gehalten habe, jetzt aber darauf zurück führen kann, dass man an Orten wie diesem Bodensee einfach so bescheuert denken muss...
Ein ähnliches Zeitloch wie dort habe ich zuletzt vor fast 20 Jahren irgendwo im tiefsten Schweden erlebt.
Da stand ich mit 16 zufälligerweise auch zur Hochsommerzeit plötzlich in einem Wald, überall nur uralte Bäume – und ich meine wirklich uralte Bäume – sonst weit und breit nichts außer Farnen, Walderdbeeren, Heidelbeeren, Insektengesumme und so fort – und ich dachte mir, Scheiße Mann, jetzt haben sie dich ins Jahr drei Millionen vor Christus gebeamt...
Eigentlich wollte ich irgendwann nach Sils Mariä ins Engadin, um nachszusehen, ob es dort wirklich so toll ist, wie es der alte Nietzsche seinerzeit behauptet hat, aber nach allem was ich am Bodensee gesehen habe und was ich von der Schweiz so weiß, lass ich das lieber; solche Landschaften fernab jeder Spur von Gegenwart und ihrer vielfältigen Symptomatik machen einen ja imgrunde nur krank im Kopf.
Und der alte Nietzsche hat seine Elogen ans Engadin wahrscheinlich auch nur schreiben können, weil er praktisch blind war und vom vielen Haschisch so schwer benebelt, dass er sich sein Sils Mariä in bekannter Selbstherrlichkeit schlicht ausgedacht hat.
Man sollte bei jeder Art Zivilisationsästhetik überhaupt darauf achten, woher so was rührt. Dieser tibetanische Dalai Lama Dreck ist ja auch so eine schwer menschenverachtende Hochgebirgsphilosophie, die sich nur Leute ausdenken konnten, die gezwungen sind ihr Leben in sogenannten Streusiedlungen zu fristen. Der ganze Buddhismus, wahrscheinlich jeder religiöse Schwachsinn vom frühesten Judentum über die Suren Mohammeds bis hin zu den Instantheilslehren der Hubbards und Bagwahns aller Couleurs lässt sich sicher auf irgendeine Wüstenei zurück führen, der diese Prediger in Ermangelung besserer Möglichkeiten sich zu unterhalten oder die Zeit tot zu schlagen, entsprechen in ihren glücksversehrten Ergüssen.
Aber zurück nach Bregenz. Ich habe mir die Vorstellung auf der Seebühne angesehen und in diesem Zusammenhang auch ein kleinen Blick in die Zukunft unseres Mitteleuropa werfen können:
An die siebzig junge Angestellte unserer schönen neuen Eventunterhaltungsindustrie arbeiten für 7000 Rentner, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Zeit und ihren Pensionen. So schaut es aus.
Das ist die Zukunft. Das zahllose Heer der Rentner will auf Teufel komm raus abgelenkt werden von der schlichten Tatsache, dass das einzige, was sie in ihrem Alter wirklich noch so richtig realistisch unmittelbar authentisch erleben werden, ihr Abgang sein wird. Und die Jugend führt also deswegen für sie den Maskenball in Bregenz auf, oder La Bohème, oder den Faust, wenn es halt Theater sein muss.
Und wenn auf diese Weise alle Opern demoliert und jede gute Idee einer Musik, die ein guter Opernkomponist wie Verdi jemals gehabt hat, dann auch irgendwie für alle Zeit kaputt gemacht sein wird, werden sie sich Jazz vornehmen und Rock, dann Pop, oder PopArt-Performances und deutsche Konzeptkunst.
Und das wird dann alles in sauber organisierten Technojahrmärkten abgefeiert, jede Woche, jeden Monat, jeden Tag irgendwo anders.
Der Nachwuchs der bildenden Kunst ist darauf bestens vorbereitet.
Gestern war im Haus der Kunst die Jahresausstellung der Münchner Akademie. Und da haben es die Studenten bewiesen, dass sie das können, so Objekte und Verfahren, und Gimicks und was weis ich was für einen Scheißdreck in die Welt stellen, den man für irgendwas brauchen kann, was irgendwie eventtauglich ist und wovor sich eine Kasse und ein Tisch fürs Catering aufbauen lässt . Leider fällt ihnen sonst gar nichts mehr ein.
Ich hab nach dem ersten Rundgang durch die show den Höhne gefragt, ob ihm das Kunst machen eigentlich noch Spaß macht, weil mir das Kunst machen ja angesichts dieser Lage ja wirklich keinen Spaß machen würde und der Höhne hat darauf erst irgendwie erschöpft wirkend zustimmend den Kopf geschüttelt, dann aber doch ganz tapfer gesagt: Doch! Die Zeichnungen, die er ... mache er schon gerne.
Gibts in Frankfurt eigentlich noch so was wie Kunst, oder hat sich das vielleicht einfach klammheimlich aufgehört?
..., bringt mich ja schon auf die Idee, dass sich die Kunst in Frankfurt vielleicht schlicht verabschiedet von der Kunst und einfach was besseres zu tun hat.
Autogramme sammeln, stundenlang fernsehen, fussballern, oder so Sachen.
So. Langsam neigt sich auch dieser Nachmittag dem Ende entgegen. (Sag, bist du jetzt eigentlich auch so schläfrig; mich machen diese Vorstellungen von der zeitgenössischen Kunst nämlich schon schläfrig)
Jetzt ist es auch schon fast 19 Uhr geworden. Meine Güte, wie schnell doch die Zeit vergeht. Vorher war es gerade halb fünf. Schon gähne ich ein wenig und strecke das Kreuz durch.
Und geraucht habe ich wieder viel zu viel. Und ein richtiger Schluss, der dieses zäh fliessende Finale mit einer zündenden Pointe zu einem guten Ende führen könnte fällt mir jetzt auch nicht ein.
Gerade hat im Hof jemand eine Autotür zugeschlagen. Aber wen interessiert das schon?
In Bregenz habe ich einen schwulen Tänzer kennen gelernt, der früher Priester war, jetzt in dem Kaff die Kirchenorgel spielt und sein Geld neben der Tanzerei und Opernchorgesinge während der Festspiele mit der Fertigung von Paramenten verdient. Aber das ist eine andere, zu lange Geschichte. Außerdem: Wer weiß schon was Paramente sind? Und wer kennt noch den Hermes Phettberg?
So – – –
Und jetzt tut sich gar nichts mehr.
Nicht mal eine Autotür. Nur eine Taube gurrt ironisch.
Wahrscheinlich liest du das erst am Montagabend. Wann warst du eigentlich zuletzt in Österreich?
Ist dir aufgefallen, dass die dort fast keine Zigarettenautomaten mehr hängen haben?
Na endlich fällt mir ein brauchbares Titelthema ein. Memphis.
Beste Wünsche und schöne Grüße
A.
16:44
an M. F. / Frankfurt
Memphis
Lieber M.,
schöne Grüße aus einem trüben, verregneten Nachmittagsloch.
Das mit dem Sommer wird wohl heuer nichts mehr. Heute vormittag hing über dem Viktualienmarkt schon ein erster Hauch Herbst, und wenn ich jetzt aus dem Fenster schau fällt es schon schwer den Anblick dieser tristen grauen Wolkendecke mit dem Hochsommermonat August in Verbindung zu bringen.
Na ja. Man soll ja ... aber irgendwie kann ich mich eh nicht mehr daran erinnern wie ein blauer Himmel aussieht – das letzte mal ... vergangenen Montag in Lindau, aber der erschien mir eher als Kulisse einer fünfziger Jahre Ansichtskarte wie überhaupt diese ganze Gegend am Bodensee. Fachwerkungetüme, pittoreske Hafenanlagen, Städtchen die Friedrichsruh heißen, ganze Legionen alter Menschen, die sich durch Gassen und über Promenaden schieben, und hebt man den Blick, erheben sich ringsum auch sofort diese Ansätze der Alpen, und alles ist einem sofort der reinste Kitsch, weil irgendwie fotografisch eingefrorene original Nachkriegszeit, so grell bunt und nachkoloriert, wie einem diese schönen Schweizer Aussichten da entgegen knallen.
Ich finde ja Gebirgspanoramen eher bedrückend und schau lieber aufs offene Meer hinaus, in Straßenschluchten oder durch endlose Betonwüsten als gern von so massiven Naturmonumenten umstellt zu sein, egal ob bewaldet, oder nicht – und wenn schon Anhöhe und Feldherrnblick, dann richtig, also aus paar Tausend Metern durchs Flugzeugfenster oder eben gleich MIR, die schöne klassische Totale auf die Kugel, meinetwegen auch sehr gern vom Bett aus, denn so ein MIR-Bullauge ist ja auch nicht recht viel größer als mein alter Grundigbildschirm.
Jedenfalls. Diese Gegend am Bodensee, wirklich nicht mein Ding.
Außerdem sind ihre Bewohner, insbesondere auf österreichischer Seite, diese sogenannten Vorarlberger soho wahas vohon lahangsahm, dass man wirklich auf die Idee kommen kann, dass in dieser Region die Zeit einfach langsamer vergeht oder gar nicht geht, sondern kriecht, oder gar 1945 einfach ganz stehen geblieben ist, was dann auch so Leutchen wie diesen Walser und seine hanebüchenen Nationaldummheiten erklären könnte, die ich bislang eher für einen Ausdruck der herrschenden Gerontokratie gehalten habe, jetzt aber darauf zurück führen kann, dass man an Orten wie diesem Bodensee einfach so bescheuert denken muss...
Ein ähnliches Zeitloch wie dort habe ich zuletzt vor fast 20 Jahren irgendwo im tiefsten Schweden erlebt.
Da stand ich mit 16 zufälligerweise auch zur Hochsommerzeit plötzlich in einem Wald, überall nur uralte Bäume – und ich meine wirklich uralte Bäume – sonst weit und breit nichts außer Farnen, Walderdbeeren, Heidelbeeren, Insektengesumme und so fort – und ich dachte mir, Scheiße Mann, jetzt haben sie dich ins Jahr drei Millionen vor Christus gebeamt...
Eigentlich wollte ich irgendwann nach Sils Mariä ins Engadin, um nachszusehen, ob es dort wirklich so toll ist, wie es der alte Nietzsche seinerzeit behauptet hat, aber nach allem was ich am Bodensee gesehen habe und was ich von der Schweiz so weiß, lass ich das lieber; solche Landschaften fernab jeder Spur von Gegenwart und ihrer vielfältigen Symptomatik machen einen ja imgrunde nur krank im Kopf.
Und der alte Nietzsche hat seine Elogen ans Engadin wahrscheinlich auch nur schreiben können, weil er praktisch blind war und vom vielen Haschisch so schwer benebelt, dass er sich sein Sils Mariä in bekannter Selbstherrlichkeit schlicht ausgedacht hat.
Man sollte bei jeder Art Zivilisationsästhetik überhaupt darauf achten, woher so was rührt. Dieser tibetanische Dalai Lama Dreck ist ja auch so eine schwer menschenverachtende Hochgebirgsphilosophie, die sich nur Leute ausdenken konnten, die gezwungen sind ihr Leben in sogenannten Streusiedlungen zu fristen. Der ganze Buddhismus, wahrscheinlich jeder religiöse Schwachsinn vom frühesten Judentum über die Suren Mohammeds bis hin zu den Instantheilslehren der Hubbards und Bagwahns aller Couleurs lässt sich sicher auf irgendeine Wüstenei zurück führen, der diese Prediger in Ermangelung besserer Möglichkeiten sich zu unterhalten oder die Zeit tot zu schlagen, entsprechen in ihren glücksversehrten Ergüssen.
Aber zurück nach Bregenz. Ich habe mir die Vorstellung auf der Seebühne angesehen und in diesem Zusammenhang auch ein kleinen Blick in die Zukunft unseres Mitteleuropa werfen können:
An die siebzig junge Angestellte unserer schönen neuen Eventunterhaltungsindustrie arbeiten für 7000 Rentner, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Zeit und ihren Pensionen. So schaut es aus.
Das ist die Zukunft. Das zahllose Heer der Rentner will auf Teufel komm raus abgelenkt werden von der schlichten Tatsache, dass das einzige, was sie in ihrem Alter wirklich noch so richtig realistisch unmittelbar authentisch erleben werden, ihr Abgang sein wird. Und die Jugend führt also deswegen für sie den Maskenball in Bregenz auf, oder La Bohème, oder den Faust, wenn es halt Theater sein muss.
Und wenn auf diese Weise alle Opern demoliert und jede gute Idee einer Musik, die ein guter Opernkomponist wie Verdi jemals gehabt hat, dann auch irgendwie für alle Zeit kaputt gemacht sein wird, werden sie sich Jazz vornehmen und Rock, dann Pop, oder PopArt-Performances und deutsche Konzeptkunst.
Und das wird dann alles in sauber organisierten Technojahrmärkten abgefeiert, jede Woche, jeden Monat, jeden Tag irgendwo anders.
Der Nachwuchs der bildenden Kunst ist darauf bestens vorbereitet.
Gestern war im Haus der Kunst die Jahresausstellung der Münchner Akademie. Und da haben es die Studenten bewiesen, dass sie das können, so Objekte und Verfahren, und Gimicks und was weis ich was für einen Scheißdreck in die Welt stellen, den man für irgendwas brauchen kann, was irgendwie eventtauglich ist und wovor sich eine Kasse und ein Tisch fürs Catering aufbauen lässt . Leider fällt ihnen sonst gar nichts mehr ein.
Ich hab nach dem ersten Rundgang durch die show den Höhne gefragt, ob ihm das Kunst machen eigentlich noch Spaß macht, weil mir das Kunst machen ja angesichts dieser Lage ja wirklich keinen Spaß machen würde und der Höhne hat darauf erst irgendwie erschöpft wirkend zustimmend den Kopf geschüttelt, dann aber doch ganz tapfer gesagt: Doch! Die Zeichnungen, die er ... mache er schon gerne.
Gibts in Frankfurt eigentlich noch so was wie Kunst, oder hat sich das vielleicht einfach klammheimlich aufgehört?
..., bringt mich ja schon auf die Idee, dass sich die Kunst in Frankfurt vielleicht schlicht verabschiedet von der Kunst und einfach was besseres zu tun hat.
Autogramme sammeln, stundenlang fernsehen, fussballern, oder so Sachen.
So. Langsam neigt sich auch dieser Nachmittag dem Ende entgegen. (Sag, bist du jetzt eigentlich auch so schläfrig; mich machen diese Vorstellungen von der zeitgenössischen Kunst nämlich schon schläfrig)
Jetzt ist es auch schon fast 19 Uhr geworden. Meine Güte, wie schnell doch die Zeit vergeht. Vorher war es gerade halb fünf. Schon gähne ich ein wenig und strecke das Kreuz durch.
Und geraucht habe ich wieder viel zu viel. Und ein richtiger Schluss, der dieses zäh fliessende Finale mit einer zündenden Pointe zu einem guten Ende führen könnte fällt mir jetzt auch nicht ein.
Gerade hat im Hof jemand eine Autotür zugeschlagen. Aber wen interessiert das schon?
In Bregenz habe ich einen schwulen Tänzer kennen gelernt, der früher Priester war, jetzt in dem Kaff die Kirchenorgel spielt und sein Geld neben der Tanzerei und Opernchorgesinge während der Festspiele mit der Fertigung von Paramenten verdient. Aber das ist eine andere, zu lange Geschichte. Außerdem: Wer weiß schon was Paramente sind? Und wer kennt noch den Hermes Phettberg?
So – – –
Und jetzt tut sich gar nichts mehr.
Nicht mal eine Autotür. Nur eine Taube gurrt ironisch.
Wahrscheinlich liest du das erst am Montagabend. Wann warst du eigentlich zuletzt in Österreich?
Ist dir aufgefallen, dass die dort fast keine Zigarettenautomaten mehr hängen haben?
Na endlich fällt mir ein brauchbares Titelthema ein. Memphis.
Beste Wünsche und schöne Grüße
A.
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