Mittwoch, 13. Juni 2007
Aus dem Juni 2000
Montag, 19. Juni 2000 17:31h an Weigl/Köln

PIZZA ´S COMING HOME

Lieber Weigl,

ganz kurz, weil ich mit dem Schreiben etwas im Verzug bin und am abend noch in die Scheißoper muss. Also:

Was gute Werbung kennzeichnet? Titten.
Mein Lieblingspot/claim? Die Palmers-Plakate an den Trambahnhäuschen mit den Unterwäschemodels (machen gute Laune), dicht gefolgt von diesen "Wir-sind-auf-dem-rechten-Auge-blind-aber-ihr-seid-noch-dazu-blöd-weil-ihr-uns-den-Scheiß-abkauft"-Plakaten des ZDF, weil weiter lässt sich der offensichtliche Totallapsus, der diese Bagage im Griff hat, eigentlich nicht mehr treiben.
Die pfiffigen Antworten spar ich mir. Lieber erzähle ich dir eine wahre Geschichte, die mit Sicherheit lustiger und pfiffiger ist, als es die lustigste und pfiffigste Idee in der Werbung je sein könnte. Und die superlustige, superpfiffige Geschichte geht so:
Du erinnerst dich an das Spiel Slowenien gegen Jugoslawien letzte Woche? (Edit 2007: im Juni 2000 war Fußball-EM) Nicht? Dann hör zu. Also Slowenien-Jugoslawien, historische Begegnung. Ein – nein – DER europäische Schurkenstaat gegen einen braven Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft, und nach gut zwei Dritteln der regulären Spielzeit steht es Drei zu Null für Slowenien, was imgrunde unglaublich ist, weil bei den Jugos mit Stoikowic, Mihajlowic, Jugowic und wie die ices alle heißen, wirklich europäische Weltklasse gegen balkanische Provinzkicker angetreten war.

Okay. Drei Null. Jeder denkt: Scheißjugoslawien. Das ham se jetzt davon, den Milosevic immer noch nicht ceaucescomäßig abserviert zu haben, sind halt sture serbische Betonköpfe, schurkische... da foult der jugoslawische Superstar Mihajlowic in gewohnter serbischer Brutalität einen armen unschuldigen Slowenenbuben, führt sich vor dem Schiri auch noch auf, sieht dafür selbstverständlich Gelb-Rot und fliegt vom Platz. Und dann – und jetzt springe ich aus der Liveberichterstattung in die Nachbetrachtung, die am Donnerstag abend naturgemäß im Baader stattfand und gebe ab an den Experten Frühauf, der da sagte, dass es göttliche Fügung oder eine neue Balkanpolitik der Bundesregierung gewesen sein muss, die dafür sorgte, dass eine Minute nach dem Rauswurf von Mihajlowic die bis dahin blass wirkende hängende Spitze Milosevic die zwei Anschlusstore schoss, die die zehn Jugos gegen elf Slowenen in eigentlich hoffnunglsoser Lage zurück ins Spiel brachten und am Ende Jugoslawien sogar ein 3:3 Unentschieden bescherten, worauf der dritte Mann unserer Expertenrunde, nämlich der legendäre Türsteher und Biergott Ladislaus Pirker mit erhobenem Zeigefinger dem Frühauf Einhalt gebot und nicht ohne Pathos erklärte: Junger Freund, vergiss den Scheiß mit Milosevic und den politischen Intrigen, sondern denke daran – theatralische Pause – strenger Blick – : Wenn der Centurio fällt, zeigt die Legion, was in ihr steckt!
Sprach also Ladi Pirker und machte in diesem Moment wieder klar, worum es bei Fußball in wirklichkeit geht - nämlich wirklich um ALLES, um die Totalität der Welt, wie wir sie kennen. Und falls du jetzt nicht weißt, was gemeint ist. Der Centurio war der vom Platz gestellte Mihajlowic, immerhin einer der teuersten Spieler der italienischen Liga. Und eine Legion war seinerzeit im alten Rom – was ich sagen will ist, ich meine: solche Geschichten, wie diese dezidiert ins Mythische der Politik abgehobene Begegnung zwischen SL und YU, noch dazu kommentiert mit einem der fünf brillanten Sätze aus dem großen dreibändigen Handbuch der Histoire Europainne, zeigen doch neben der ihnen eigenen Erhabenheit und Größe auch die ganze Erbärmlichkeit, die in der Beschäftigung mit Werbung an und für sich und insbesondere Werbeslogans liegt.

Aber weil ich nicht so bin, fällt mir doch noch ein guter claim ein, der eigentlich vom H. S. ist und den er letzten Freitag nach der Beerdigung von Ralf Wolter erfunden hat. Wir hockten an den von Ralfs Musikerfreunden aufgestellten Biertischen im Isarkiesbett am Deutschen Museum und es ging um einen passenden Namen für ein modernes Lokal. Der S. würde es Hausverbot nennen – die Bar für alle mit Hausverbot.

Gut: Zu dialektisch für unsere ins Ganglienwesen zurückgezüchteten Zielgruppenhirne und selbstredend nicht so genialisch wie die Idee einer Kunstausstellung mit dem Titel KINSKI OHNE KINSKI – the dark patterns of the world as we know it, aber immerhin.

Übrigens. Die Idee Kinski ohne Kinski ist bis auf Weiteres top secret, weil sie Phil machen will – und zwar in Köln!

Gott sei Dank hab ich den Flyer von dieser Galerie 68elf seit Köln neben mir an der Wand hängen. Denn da kann ich ja jetzt selber bei denen anrufen und mich in die Warteliste eintragen lassen.

Und mit dieser letzten, ebenso bissigen, wie anspielungsreichen Bemerkung bezüglich deiner Kooperationsfähigkeit in allen Fragen der großen Kunst lasse ich´s für heute bewenden und den Satz einfach so hochliterarisch stehen.
Beste Wünsche und freundliche Grüße
A O

ps Der Titel – du wirst es längst erraten haben – ist der aktuell zur EM erfundene Call A Pizza-Werbegag und irgendwie auch ganz pfiffig. Und das einzige Geheimnis, das die Werbung wirklich in sich trägt ist zugleich das offensichtlichste Wirkungsmoment, das es überhaupt gibt in unserer Welt und lautet "Penetration", also immer mit demselben Ding immer wieder in die selbe Stelle stoßen, immer wieder.
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